Kassiererin versetzt einen Schlag

Keine Entlassung für Kassiererin, die einen Schlag versetzt

Ladenpersonal, das lästigen Kunden zu Leibe rückt. Das Phänomen scheint in den letzten Jahren gang und gäbe zu sein. Manchmal führt dies zu einer strafrechtlichen Verfolgung, wie in der Sache Anja Joos und in der Sache, in der sich Prinz Bernhard zum Schutzengel des Ladenpersonals gemacht hat. Die Frage ist die, wo sich die Grenzen befinden. Bis wieweit dürfen Ihre Mitarbeiter gehen, wenn sie Ihre Kunden in die Schranken weisen? Eine Festnahme, wenn ein Kunde auf heißer Tat ertappt wird, ist noch erlaubt, aber jemandem nach Festnahme die Nase brechen, ist verpönt. Darüber hinaus erhebt sich die Frage, wann man einen Mitarbeiter, der einem Kunden einen Schlag versetzt hat, entlassen darf. Diesen letzten Fall hat das Amtsgericht in Zaandam am 3. November 2005 beurteilt (JAR 2005/263). Zum Schluss ergibt sich die Frage, welche Maßnahmen ein Arbeitgeber am besten treffen kann, um zu vermeiden, dass er für die etwaigen Folgen eines Handgemenges haftbar gestellt wird.

Der Fall. Unter den Augen einer Kassiererin eines Aldi-Supermarkts in Zaandam verhält sich eine Gruppe von fünf Jugendlichen in belästigender Weise. Sie benehmen sich pöbelhaft, und es wird geschrien. Die Kassiererin fordert die Jugendlichen "auf unmissverständliche Weise" dazu auf, den Laden zu verlassen. Dies gelingt mit viel Mühe. Draußen wird die Kassiererin, "selbst Mutter von fünf Kindern, darunter drei große Jungen", handgreiflich mit einem von ihnen. Dieser ziemlich groß ausgefallene Junge schlägt nach ihr und daraufhin versetzt sie ihm mit der flachen Hand einen Schlag. Der anwesende Assistent-Betriebsleiter gesellt sich hinzu, aber unternimmt keine weitere Aktion in Richtung Kassiererin. Der Junge erstattet jedoch Anzeige wegen Misshandlung. Der Kontaktbereichspolizist besucht sie und stellt Fragen. Die Geschäftsführung bekommt Wind davon. Aldi entlässt die Kassiererin anlässlich dessen stehenden Fußes.

Die Arbeitnehmerin ist gezwungen, ein Eilverfahren im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gegen ihren Arbeitgeber einzuleiten. Dabei fordert sie eine Lohnfortzahlung sowie eine Wiederaufnahme der Tätigkeit. Aldi beharrt jedoch auf dem Standpunkt, das Verhalten der Kassiererin unakzeptabel zu finden. Sie hätte nach Ansicht von Aldi in dieser Situation den Betriebsleiter gemäß den hierfür erlassenen Anweisungen warnen müssen. Aldi wirft der Mitarbeiterin vor, sie hätte dies unterlassen. Ihr Auftritt würde nach Aldi gegen die kundenfreundliche Politik verstoßen, die Aldi betreibt, und werfe nach Ansicht von Aldi ein schlechtes Licht auf den Laden.

Keine Rachsucht

Das Amtsgericht unterstützt die Kassiererin jedoch voll und ganz. Nach seinem Urteil hinke jeder Vergleich mit früheren aufsehenerregenden Sachen, wobei aggressive Ladenmitarbeiter mit Kunden handgreiflich geworden sind. Es urteilt, dass in dieser Sache keine Rede sei "von einer rachsüchtigen Mitarbeiterin, die zusammen mit anderen einem (vermeintlichen) Ladendieb oder einem anderen Bösewicht nachstellt, um diesen nach Festnahme zusammenschlagen zu können." Dagegen wäre diese Kassiererin laut den Worten des Amtsgerichtes "eine starke Surinamer Mutter, die ihren Mann in Richtung frecher Jugendlicher stehe".

In seinem Urteil hebt das Amtsgericht hervor, dass es womöglich nicht klug von der Kassiererin gewesen sein dürfte, einem der Jungen eine Ohrfeige zu verpassen. Aber an und für sich sei dies ein unzureichender Grund, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Das Amtsgericht berücksichtigt dabei die Umstände des Falles. Es beschreibt, die Kassiererin hätte den Jungen "kurzerhand" rausgeworfen. "Danach hat einer dieser Jugendlichen es sich einfallen lassen, seine Hand gegen diese Frau zu heben, die seine Mutter sein könnte und anschließend hat sie ihm eine Ohrfeige verpasst."

Den Ansprüchen der Arbeitnehmerin gibt das Amtsgericht somit statt. Es fügt hinzu, dass bedrängte Mitarbeiter in Situationen wie diesen die Unterstützung durch ihren Arbeitgeber verdienen. Der Arbeitgeber darf sich nicht hinter den von ihm erstellten 'Spielregeln' verstecken. Der Amtsrichter: "Ich verstehe durchaus, dass Aldi lieber nicht in derartige Vorfälle verwickelt werden möchte, aber das Problem besteht darin, dass Aldi nicht das Sagen hat, weil allerhand Störenfriede ihre Läden nun einmal nicht links liegen lassen. Aldi wird akzeptieren müssen, dass ihre Arbeitnehmer daher leichter in Krisensituation hineingeraten. Bedrängte Arbeitnehmer verdienen es grundsätzlich, von ihrem Arbeitgeber unterstützt zu werden."

Kommentar

Während der vergangenen Zeit sind Sachen wie diese regelmäßig in die Schlagzeilen geraten. Wie soll man als Arbeitgeber, das Ladenpersonal mit lästigen Kunden umgehen lassen? Auf den ersten Blick sieht es danach aus, als stünde das Urteil des Amtsgerichtes im Widerspruch zu früheren aufsehenerregenden Sachen, wobei Ladenpersonal lästigen Kunden zu Leibe gerückt ist. Noch in frischer Erinnerung ist die Sache, wobei Prinz Bernhard einem Mitarbeiter von Albert Heijn in Amsterdam finanziell unter die Arme gegriffen hat, nachdem dieser eine Geldstrafe erhielt, weil dieser Mitarbeiter einem Dieb die Nase gebrochen hatte. Eine andere Sache war die, wobei die Streunerin Anja Joos von Mitarbeitern des Supermarktes Dirk van den Broek zu Tode geprügelt wurde, nachdem sie sie des Ladendiebstahls verdächtigten.

Dennoch unterscheiden sich die genannten aufsehenerregenden Sachen in mehrerlei Hinsicht grundlegend von dem hier besprochenen Gerichtsurteil. Der augenfälligste Unterschied ist der, dass in den aufsehenerregenden Sachen Straftaten vorlagen, wobei das betreffende Ladenpersonal von der Staatsanwaltschaft verfolgt wurde und vom Gericht für ihre Taten verurteilt worden ist. Im vorliegenden Fall liegt keine Strafsache vor, sondern ein Zivilanspruch einer Mitarbeiterin beim Amtsgericht, die wegen Beteiligung an einem Handgemenge fristlos entlassen worden ist. Aber wesentlicher ist noch die Tatsache, dass es im geschilderten Fall keine Verletzte oder Tote gegeben hat, was in den beiden genannten aufsehenerregenden Sachen wohl der Fall war.

Es läuft im Grunde darauf hinaus, dass sich das Personal selbstverständlich verteidigen können muss, wenn dies erforderlich ist. Diese Selbstverteidigung muss proportional sein. In den beiden genannten aufsehenerregenden Sachen war von Selbstverteidigung keine Rede mehr. Es hatte sich hingegen eine Situation ergeben, wobei das Ladenpersonal weiter eingeschritten ist als für die Festnahme oder reine Selbstverteidigung erforderlich war. In der Sache, wobei Prinz Bernhard dem Ladenmitarbeiter finanziell geholfen hat, lag eine Verletzung vor, angesichts derer das Gericht urteilte, dass sie nicht nötig gewesen sei. Darin hat der Ladenmitarbeiter dem anderen nämlich die Nase gebrochen, nachdem er den Mann bereits festgenommen hatte. In der Sache Anja Joos führte das Handgemenge sogar zum – selbstverständlich unnötigen – Tod des Kunden. Das ist für den aufmerksamen Leser kein nuancierter rechtlicher Unterschied, sondern ein himmelsweiter Unterschied.

Offensichtlich hat Aldi die Politik, die Aufschluss darüber gibt, wie mit lästigen Kunden umzugehen sei, in einer Anweisung festgelegt. Normalerweise ist es den Gerichten sehr wichtig, dass die Anweisungen des Arbeitgebers vom Personal eingehalten werden, aber das Amtsgericht schien sie im vorliegenden Fall nicht allzu ernst zu nehmen. Wozu sind Anweisungen denn noch gut, höre ich Aldi denken. Dennoch war es gar nicht falsch von Aldi, eine derartige Anweisung griffbereit zu haben. Aber Aldi hat daran deutlich falsche Erwartungen gehegt. Sie hat der Anweisung einen zu großen Rechtsstatus beigemessen. Letztendlich sollen die tatsächlichen Umstände des Falles, in dem sich der Vorfall ergab, alles entscheidend sein, darunter namentlich die Frage, ob die Mitarbeiterin aus Selbstverteidigung gehandelt hatte und ob sie weiter eingeschritten ist als erforderlich war.

Außerdem ist eine Anweisung an und für sich in rechtlicher Hinsicht ungenügend. Das Arbeitsschutzgesetz schiebt nämlich die Verantwortung für die Entwicklung einer Anti-Aggressionspolitik am Arbeitsplatz ausdrücklich dem Arbeitgeber zu. Art. 2, 2. Absatz dieses Gesetzes besagt: "Der Arbeitgeber betreibt, innerhalb der allgemeinen Arbeitsschutzpolitik, eine Politik, die daran ausgerichtet ist, Arbeitnehmer gegen sexuelle Belästigung und gegen Aggression und Gewalt zu schützen." Dass Aldi hier über eine Anweisung verfügte, wie mit dieser Situation umzugehen sei, war somit nicht weiteres als die dürftige Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung. Aus dem Fall ergibt sich jedoch nicht, dass Aldi ihre Mitarbeiter diesbezüglich auch ausgebildet hatte. Es gibt Beispiele für Urteilssprüche, wobei das Fehlen einer derartigen Ausbildung dem Arbeitgeber im Falle eines Personenschadens, den ein Mitarbeiter nach der Konfrontation mit einem gewalttätigen Kunden davongetragen hatte, teuer zu stehen kam.

Zum Schluss sei Folgendes angemerkt. Auch in Situationen, wobei das Personal für relativ geringe Vergehen strafrechtlich verurteilt wird, zeigt es sich, dass es nicht einfach ist, sie im Zusammenhang damit zu entlassen. Dann gelten doch die ganz eigenen Beurteilungskriterien des Arbeitsrechts, so wie die Frage, ob das Vergehen derart ernsthaft ist, dass dem Arbeitgeber eine Beibehaltung des Arbeitsvertrages nicht länger zugemutet werden kann oder dass dadurch das Vertrauen in den Mitarbeiter unwiederbringlich geschädigt worden ist. Denken Sie somit als Arbeitgeber nicht einmal, sondern zweimal nach, bevor Sie Ihren Mitarbeitern eine Rückendeckung vorenthalten und es gilt, genauestens die Tatsachen angesichts der brenzligen Situationen zu recherchieren, in die Ihr Personal eventuell unverhofft hineingeraten ist.

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